Dienstag, 19. Oktober 2010

Krieg, Frieden und Religion

*Hust* Erstmal kräftig den Staub wegpusten...

Hallo und Willkommen zurück in meinem Balkanblog! Gestern hat das neue Semester begonnen und ich dachte mir, dass ich den neuen Bloggern etwas Gesellschaft leiste und mein Blog an dieser Stelle weiterführe. Demnächst gibt es an dieser Stelle also wieder Beiträge in loser Reihenfolge rund um die Themenfelder "Balkan" und "Islam", diesmal aber ergänzt durch die Schlagwörter "Krieg" und "Frieden".

Der erste Seminartag brachte vor allem die Frage nach der Vernetzung der beiden letztgenannten Aspekte mit dem Thema "Religion". Uns allen ist klar, dass diese Themenfelder zusammenhängen. Dennoch war es schwer, direkte Beziehungen herzustellen. Frei von allen persönlichen Hemmschuhen und Vorbehalten ließen sich in unserer Gruppe folgende Beziehungen feststellen:

  • Religion dient oft als Ursache oder Vorwand für Krieg
  • Religion hat gleichsam einen Frieden stiftenden Anspruch
  • Krieg kann die Bedeutung von Religion verstärken (sowohl individuell, als auch kollektiv)
  • Frieden kann die Bedeutung von Religion schwächen (sowohl individuell, als auch kollektiv)
  • Sowohl Frieden als auch Krieg sind Kernelemente der Religion
  • Religion kann Krieg als Mittel der Bekehrung einfordern

Für mich persönlich - und damit stand ich Merles Position sehr nahe - ergibt sich in diesem Themenfeld folgende These, die ich schon öfter in Gesprächen eingenommen habe und die gestern im Seminar erneut angedacht wurde:

Sobald Religionen für sich einen Alleinvertretungsanspruch beanspruchen, sich also als die einzig wahre und richtige Glaubensgemeinschaft und anderen übergeordnet auffassen, ist eines ihrer Mittel zur AbGRENZung von Andersgläubigen die Ausübung von Gewalt.

Eine friedliche Koexistenz von Religionsgemeinschaften war in der Geschichte nicht die Regel und auch in der Gegenwart hat der 11. September 2001 - oder besser gesagt die amerikanische Reaktion auf diese Tragödie - erneut diese "Illusion" beiseite gewischt und für eine Verschärfung der religiösen Spannungen gesorgt. Unternimmt man einen Streifzug durch die Geschichte, dann ist Religion immer und immer wieder Ausgangspunkt oder Legitimation für militärische Konflikte. Gerade in Bezug auf die drei großen religiösen Traditionsgeflechte (Volkhard Krech) Juden-, Christentum und Islam lassen sich viele Beispiele finden und es ist durchaus möglich, dass auch Hindu- und Buddhismen sowie die südostasiatischen Religionen trotz verstärkter Wahrnehmung als friedlichere Religionsgemeinschaften zum Mittel der Gewalt gegriffen haben, dies tun und auch in Zukunft machen werden. Um die These, die hier und heute auch nur eine These bleiben wird, weiterzuführen:

Je größer der Alleinvertretungsanspruch einer Religion ausgeprägt ist, umso intensiver wird ihre AbGRENZung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften durch Konflikt und Gewalt geprägt sein.

Soviel für heute von mir! Über Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen, auch die "Neuen" brauchen sich da nicht mit ihren Ansichten zurückhalten!

10 Kommentare:

  1. Deine These hört sich schlüssig und richtig an. Jedoch muss ich bei näherer Betrachtung doch widersprechen.
    Du solltest die erste These deiner Aufzählung mit einfließen lassen. Religion wird daher nur als Vorwand mißbraucht.
    Dies kann in der Geschichte immer wieder bestens aufgezeigt werden. Ob wir nun von den Kreuzzügen oder vom 30jährigen Krieg sprechen.
    Somit wird die Religion, habe sie noch einen so hohen Führungsanspruch als "Weltreligion", nicht an sich militant. Es sind wirtschaftliche, politische oder auch ethnische Bestrebungen, die dazu führen, dass die Religion als Vorwand genommen wird, um Krieg zu führen.

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  2. @ Christof

    Ich denke wir beide meinen unsere Aussagen nicht so absolut, wie wir es hier ausdrücken. Ich meinte eigentlich durch meine Wortwahl "eines ihrer Mittel" und "umso intensiver" dem Umstand, den du ansprichst Rechnung getragen zu haben.

    Ebenso glaube ich nicht, dass du deinen Beitrag - für den ich dankbar bin! - so absolut gemeint hast, wie er erscheint. Auch nur der Religion wegen wurde getötet. Natürlich mischt sich seit einigen Jahrhunderten immer mehr mit anderen Motiven (politischen, ethnischen, nationalen etc.), klare Sache.

    @ Lili

    Da war ich im Urlaub am Gardasee, es war ein Samstag und wir haben nur am Pool gehockt, gelesen und nette Leute kennengelernt mit denen wir später Essen waren.

    Habe es korrigiert :-)

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  3. Lieber Thomas,

    es freut mich, dass du deinen blog weiterführen wirst! soviel vorab!

    nun zum thema mit ein paar gedankensplittern:

    - wenn es darum geht der religion ihre verantwortung an kriegen und gewalt abzusprechen, geht mir das zu schnell! was folgt daraus, wenn ich sage, dass die religion als "Vorwand" "missbraucht" oder sogar "instrumentalisiert" wird? hinter dieser these vermute ich zwei basis-gedanken:

    1. die religion wird zu einem opfer des krieges gemacht - ein opfer kann darauf verweisen, ja lediglich missverstanden worden zu sein.
    2. ökonomische gründe erscheinen bspw. auf anhieb einleuchtender als religiöse gründe für gewalt - doch steckt dahinter nicht auch eine unterschätzung der religion? wenn ich religiösen legitimierungen von gewalt prinzipiell weniger rationalität zuspreche als den wirtschaftlichen gründen, woher kommt dann dieser glaube an die größere kraft des ökonomischen?

    - sprechen wir einen moment lang vom krieg als dem krieg der großen armeen - welche religionen befehligen heute noch eigene armeen? der papst hat schon lange keine eigene soldaten mehr, die unter waffen stehen. es sind erst einmal staaten, die den großen krieg führen - die aussage, dass solche kriege politische gründe haben ist also tautologisch. und dann ist die frage interessant, wo denn die religion steht im geflecht von herrschaft und gesellschaft.

    und abschließend noch ein wenig provo:

    wieviel friedfertigkeit kann eine religion in eine gesellschaft bringen, wenn sie ihren anhängern von einem gott erzählt, der die, die nicht an genau ihn glauben, bestrafen wird?

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  4. Ist die Frage, inwieweit Religion und Krieg/Frieden zusammenhängen überhaupt erkenntnistheoretisch koscher zu beantworten?

    Wie will man denn wann Ereignisse Religionen zuschreiben, wenn sie nur ein Teil der zugrundeliegenden Struktur sind? Natürlich kann man z.B. den 30-Jährigen Krieg ( dass der nie älter wird oO )als Religionskrieg sehen, es dürfte aber auch klar sein, dass dort nicht nur religiöse Motive hinterstanden und im Zweifelsfall plündernde unterbezahlte Söldnertruppen nicht im Traum an Religion denken...

    Und selbst wenn es Aussagen von den Akteuren über ihre Motive gibt, ist die Frage, inwieweit sie authentisch sind.

    Ereignisse völlig aufzudröseln in ihre Motive und dann Tags mit "schuldig" und "unschuldig" drauf zu verteilen halte ich also für sehr problematisch.

    Wie Religion in diese Gemisch dann reinspielt dürfte dann zum größten Teil an diesem Gemisch liegen. Das kann man ja auch an der Bibel sehen, mit der schon so ziemlich alles gerechtfertigt wurde, vom Judenverfolgung zu Rettung von Juden vor dieser etc. Insofern gibt es DIE Bibel offensichtlich nicht und daher kann ihrem Text schlechterdings a priori Friedfertigkeit oder unfriedfertigkeit zugeschrieben werden.

    Gleiches gilt dann auch muta mutandis für Ausschließlichkeitsansprüche. Auch die haben ja schon friedlich coexistiert, wie z.B. im mittelalterlichen Andalusien. Ich persönlich als eher postmoderner Mensch sehe solche Alleinvertretungsansprüche natürlich extrem kritisch ( und halte sie auch mit unserem Grundgesetz und den Menschenrechten nicht für vereinbar ), aber sie müssen historisch gesehen nicht automatisch zu Unfriedfertigkeit führen.

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  5. Je mehr ich darüber nachdenke und eure Beiträge lese, umso mehr überkommt mich der Gedanke, dass Religion als "Gegenstand" wirklich so schwer zu fassen ist, wie die Religionswissenschaft meint, die weiterhin ohne eine Definition ihres Gegenstandes auskommen muss.

    Religion an sich ist also offenbar wertneutral, denn sie wird immer durch die Menschen definiert und ausgestaltet, jederzeit und individuell, sich verändernd und fortentwickelnd. Sie scheint eine stete Strömung zu sein, immer im Wandel, niemals gleich, stets anders wahrgenommen und ausgeübt als noch einige Augenblicke zuvor.

    Bleibt die Frage, wenn Religion an sich nicht Krieg und Frieden hervorbringt, inwiefern die Rolle der massgeblichen Individuen, die Religion prägen und die o.g. Strömung leiten, als religiöse Organe und Vertreter der Gaubensrichtung nach aussen für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können oder nicht.

    Schiebt man die Diskussion also eine Ebene herunter auf die Menschen, die Religion prägen und ausdefinieren, dann kommen wir der Sache näher, wie mir scheint.

    Was meint ihr?

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  6. bravo!

    mir gefällt das "eine eben herunter schieben" sehr gut! zwar würde ich es etwas anders in szene setzen, aber mit dem ansatz gehe ich d'accord - vielleicht machen wir mal so einen Saussure-Ansatz für religion mit langue und parole.

    und wenn ich dann wieder mit der these winke "religionen haben gewalt gerechtfertigt" - nun, dann fallen mir in den letzten 100 jahren viele beispiele ein.

    dabei geht es mir nicht darum, den religionsgemeinschaften einen schwarzen peter zuzuschieben - mir geht es hier um die übernahme von verantwortung - diese sehe ich nicht, wenn man den religionen einen persilschein ausstellt und sagt "ihr seid ja nur missbraucht worden".

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  7. Wirklich Sinn macht meiner Meinung nach ja auch nur eine Schuldzuschreibung bei einer Person, insofern ist das Betrachten der (maßgeblichen) Personen wie Thomas sagt sicherlich sinnvoller. Religionen selbst tuen ja nichts und rechtfertigen nichts, als Handelnde Individuen liegen sie ja nunmal nicht vor.

    Verantwortung würde ich aber auch schon Religionstraditionen zuschreiben wollen, das ist ja ein etwas abstrakterer Begriff ( bei mir zumindest^^ ). Aber auch dort wäre es zu einfach, über einzelne Zitate Klage führen zu wollen ( als ob jeder Christ, nur weil es im AT steht, was gegen Schwule hätte z.B. ). Was dort zu Verantworten ist sind eher die längeren Linien von Auslegungen ( und da heißt Länger ja auch, dass eine viel größere Anzahl an Individuen sich gegen weitaus kontingenteres als Texte, nämlich gegen ihre Auslegung, nicht gewehrt hat und somit Schuld gesammelt hat ). Man denke da z.B. an Anti-jüdische Traditionen in den Kirchen oder essentialisierende Metaphysik, die natürlich für die Konstruktion DES JUDEN schlechthin unerlässlich ist.

    Aber solche Traditionen von Interpretationen stehen halt in einem weltlichen Kontext, sodass da halt auch wieder viel reinspielt. Diese Zusammenhänge aufzudecken ( und das durchaus nicht in apologetischer Absicht ) scheint mir dann aber doch wichtiger zu sein als einzelnen Komplexen Schuldteilhabescheine auszustellen. Und gerade aus ersterem kann man auch eher an einer "Verbesserung" bzw. neuen Interpretationen arbeiten.

    Und gerade die Annahme, selbst im Recht zu sein, ist da schon das verhindernde Moment, wenn man dann auch noch meint allein das einzig wahre zu haben kommen vielleicht weitere Spannungen dazu, der epistemische Missgriff bleibt aber der gleiche. Vor dem Hintergrund würde ich z.B. radikale Literalismen als so lern- und fehlervermeidungsunfähig ansehen, dass sie sich letztenendes selbst schaden und somit faktisch antireligiös sind ( um ne steile These zum Abschluss zu haben^^ ).

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  8. schön! ich finde, es kristallisieren sich einige wichtige sachen raus:

    - religionen sind menschen - und somit sind auch traditionen menschen - ohne die betrachtung der menschen kann ich keine aussagen treffen - und die religion vom menschen und seinem handeln zu trennen, hat für mich oft das bedürfnis, die religion "als solche" (denn was soll das überhaupt sein???) irgendwie "rein" zu halten.

    - "Schuldteilhabescheine - ja und nein, ich möchte eindringlich daran erinnern, dass SCHULD und VERANTWORTUNG gänzlich unterschiedliche sachen sind - ja, meine erfahrung hat gezeigt, dass SCHULD der VERANTWORTUNG diametral entgegen stehen kann

    - religionen in ihrer verantwortung für krieg und menschliches leid brauchen weder über- noch unterschätzt zu werden

    ...und somit geht es mir um eine lokalisierung der verantwortung der religion in der gestalt menschlichen denkens, redens und handelns in der zeit der gesamtgesellschaftlichen katastrofe eines krieges!

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