Dienstag, 15. Juni 2010

Reisende und Reiseberichte

Nach der Stadt nun also Reiseberichte. Da fallen mir spontan verschiedene Arten von Erlebnisberichten ein, die mehr oder weniger wissenschaftlichen Anspruch haben. In erster Linie natürlich private Schilderungen einer Reise, wie ich es in diesem Blog schon mit unserem Kroatien-Urlaub 1989 unternommen habe. Wissenschaftlich natürlich ohne Belang. Das sieht schon anders aus, wenn berühmte Menschen eine Reise tun. Gerade in Zeiten geringerer Mobilität war es eine große Anstrengung, fremde Gefilde persönlich zu besuchen und die Erlebnisse für die Daheimgebliebenen festzuhalten, denen die Gelegenheit für ein solches Abenteuer meistens nicht vergönnt war. Ich denke man kann diese in verschiedenen - allen? - wissenschaftlichen Fachrichtungen finden. Während Goethe oder Fontane in erster Linie literarisch an diese Aufgabe gingen, lag der Schwerpunkt von Humboldt und anderen Naturwissenschafltern in der Beschreibung biologischer oder geographischer Begebenheiten.

Natürlich gibt es auch historische Reiseberichte. Mir fallen da spontan als schöne Beispiele die Entdeckungsreisen ein: Kolumbus, Magellan, Vespucci und wie sie alle hießen, alle hatten ihre Forscher und Wissenschaftler an Bord, die ihre Abenteuer und Entdeckungen für die interessierte Heimat und damit für die Nachwelt festhielten. Aus meiner Seminararbeit zur kanadischen Geschichte kann ich von Jacques Cartier und Samuel de Champlain erzählen, die die Entdeckung und Erschließung des späteren Kanadas portraitieren. Absolut lesenswert, wenn man sich dafür interessiert! Ein weiteres weit verbreitetes Beispiel sind die Reisen Marc O'Polos. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr könnte ich nennen. Durch die Beobachtungen dieser Menschen, die sich über ihren eigentlichen Aufgabenbereich hinaus für alles in der fremden Umgebung interessierten und sehr interdisziplinär tätig waren, prägten sich Menschenbilder. Viele der heutigen Klischees gegenüber fremden Kulturen stammen aus der Kolonialzeit, in der sich Europäer die fremden und unbekannten Kontinente und deren menschliche und tierische Einwohner erschlossen. Natürlich sind auch religiöse Berichte zu erwähnen, unter anderem von Eliade oder van der Leeuw und und und...

Im Prinzip geht es immer darum, eine fremde und dadurch attraktive Umgebung oder ein reiz- und eindrucksvolles Erlebnis zu beschreiben, festzuhalten und wissenschaftlich zu verarbeiten. Die Erkenntnisse unterliegen dabei natürlich immer subjektiven und perspektivischen Rahmenbedingungen, eine Quellenkritik ist also immer notwendig. Ähnlich wie bei der Montagsdiskussion um die Bektashi auf dem Balkan sind wir da wieder bei hierarchischen Aspekten: Wer berichtet über wen, auf welche Weise, warum gerade in dieser Form und so weiter. Auch unser Thema vom Beginn des Seminars, also GRENZen, AbGRENZungen, EinGRENZungen usw. erhalten beim Thema Reiseberichte wieder Aktualität. Die wissenschaftliche Relevanz ist also immer im Einzelfall zu beurteilen. Es gibt keine pauschale "Wertigkeit" einer Reiseberichterstattung!

Auch in der Moderne haben sich diese Berichte nicht erübrigt. Jeder Urlaubsratgeber schickt seine Mitarbeiter vor, um eine bestimmte touristische Umgebung zu beschreiben und im besten Licht darzustellen. Natürlich mit dem Ziel, den geneigten Touristen schon vorab auf den geplanten Urlaubsort einzustimmen. Sicherlich haben auch unsere Nationalspieler vom DFB eine Broschüre zum Thema Südafrika bekommen und dabei von den Menschen profitiert, die das für sie vorbereitet haben. Es fällt also wirklich schwer, das Ganze zu systematisieren: Wenn jemand eine Reise tut und das Erlebte in irgendeiner Form festhält, dann entsteht ein Reisebericht. Welche Aussen- und ggf. Massenwirkung diese dann erhalten, hängt immer von ihrem Verfasser und dessen Hintergrund ab. Meine Kroatienerzählung lesen hier vielleicht zehn Menschen. Wenn Hape Kerkeling den Jakobsweg schildert, dann lesen das Millionen!

Ein wirklich interessantes und weites Thema, das du da anschneidest, Stefan. Ich bin schon gespannt auf den wohl bekanntesten Reiseberichterstatter des Osmanischen Reiches. Und um auf deine letzte Frage zu kommen, wer sowas denn lesen würde: Bewusst die wenigsten, unbewusst alle Menschen. Man kann sich Reiseberichten gar nicht entziehen! Sie sind überall, in jeglichen Medien, selbst im Freundeskreis in der kleinen, netten Dia- oder Photorunde werden immer wieder Reiseberichte zum Besten gegeben. Eine Unterscheidung fällt mir eben noch ein: Es gibt reale und fiktive Reiseberichte. Die nächtliche Reise des Propheten Mohammed nach Jerusalem und der Exodus des Volkes Israel aus Ägypten kommen mir da ebenso in den Sinn, wie die Meuterei auf der Bounty oder Dumas' Reise zum Mittelpunkt der Erde. Ohne das man das jetzt in irgendeiner Form vergleichen kann, hoffe ich trete da gerade keinem auf die Füße.

Ein sehr weites Feld und ich höre nun besser auf, mich damit hier im Blog zu befassen. Mir kommen immer neue Ideen, ein Faß ohne Boden. Freue mich wie immer über Kommentare, bis dann!

Balkan goes World Cup - Part III - Hellas

"Hellas! Herzlich Willkommen in der Grillstube Saloniki!

Heutiges Angebot: Doppelte Portion Gyros Pommes Zwiebeln und eine Vuvuzela..."

Lampros möge mir zum einen verzeihen, dass ich eine meiner Lieblingscomedynummern einbaue, die seine Landsleute und im Namen auch seine Heimatstadt auf's Korn nimmt. Zum anderen möge er mir nachsehen, dass ich die Griechen bisher vollkommen vergessen habe. Natürlich gehören auch die Blauweißen zu meinem Balkan-WM-Report dazu! Sie mögen das zwar nicht so gerne und haben bereits erreicht, dass ich sie im ersten Anlauf nicht im Fokus hatte, doch als ich ihnen zusätzlich zu den Fördermillionen noch Helena, also Frau Galopolos, schicken wollte, waren sie plötzlich doch einverstanden, hier im Blog als Balkannation Erwähnung zu finden...

Nun, sportlich betrachtet ist Griechenland als Europameister 2004 und mehrmaliger Teilnehmer an Welt- und Europameisterschaften das etablierteste Balkanteam in Südafrika. Doch schon vor dem ersten Spiel wurde den Griechen übel mitgespielt: Sie wurden um einige Euros erleichtert! Der Kicker berichtete das einen Tag vor der Eröffnung der WM. Scheinbar haben die Geldsorgen des Landes noch nicht das kickende Personal erreicht. Zugegeben, der Witz war nun so flach, wie die Hellenen gerne ihre Inflationsrate hätten. Aber das kann man sich zur Zeit leider kaum verkneifen, sorry, Lampros!

Der WM-Auftakt der Griechen ging jedenfalls voll in die Hose: 0:2 hieß es nach einem der schwächsten Spiele des Turniers gegen das immer unberechenbare Südkorea. Mut machte die Leistung eigentlich keinem, vor allem nicht die Tatsache, dass mit Nigeria und Argentinien sicherlich keine Laufkundschaft in den verbleibenden Gruppenspielen auf die Blauweißen wartet. Das Achtelfinale hochgradig in Gefahr, wird nun eifrig am Denkmal von Trainerlegende Otto Rehhagel gekratzt. Die Zeitung "Goalnews" schrieb: "Wir sind dankbar für das, was sie mit der Nationalmannschaft erreicht haben, aber nun ist es Zeit abzutreten, Herr Otto." Auch in der "Silathos" kam der Europameistercoach nicht gut weg: "Das Spiel des Altherren-Teams macht uns traurig und wütend. Rehhagel lebt in seiner eigenen Welt." Auf den Punkt brachte es letztlich "Sportday": "Das Team bewegt sich so wenig wie die Akropolis."

Während also die Serben mit neuem Mut in ihre Partie am Freitag gegen Deutschland gehen, scheint sich Griechenland schon mehr mit der Zeit nach der WM zu beschäftigen! Der 71-jährige Coach steht dabei nun auch deswegen in der Kritik, weil sein Unterfangen, mit den Veteranen von 2004 die Fußballwelt erneut zu verblüffen, schon bei der EM 2008 gnadenlos schief gegangenen ist. Vorne hui, hinten pfui - so der Tenor der griechischen Medien im Vorfeld. Dabei hat der Triumph vor acht Jahren die Messlatte so hoch gelegt, dass das Achtelfinale allgemein erwartet wird. Rehhakles und seine Mannen wollten kämpfen und Griechenland nicht enttäuschen, doch das bittere 0:2 gegen Südkorea hat Hellas einen herben Dämpfer verpasst. Am Donnerstag gegen Nigeria wird sich nun wohl schon zeigen, wie lange ich auch aus der Grillstube - ähm... über die griechische Nationalmannschaft berichten kann.

Montag, 14. Juni 2010

Balkan goes World Cup 2010 - Part II: Panceri

Die eigene, nach den hochtrabenden Ankündigungen und Ambitionen schmachvolle 0:1 Niederlage gegen Ghana vor Augen, greifen serbische Zeitungen heute bei der Umschreibung des deutschen 4:0-Auftakterfolges gegen Australien zu alten Kriegsmetaphern, in denen jedoch einiges an Respekt vor dem Duell am Freitag mitschwingt. So beurteilte "Press" die Leistung der Deutschen martialisch: "Fudbaleri Nemačke masakrirali su selekciju Australije". Ich denke das kann man ohne Übersetzung stehen lassen. Der Titel des Artikels "Silni Panceri", lässt sich in etwa mit "Starke Panzer" übersetzen, der "Kicker" findet des weiteren die Aussage "Mächtige Panzer zeigen das bisher beste Spiel der WM". Das Fußballfachblatt findet in seiner Online-Ausgabe weitere Pressestimmen in Übersetzung: So spricht "Danas" lediglich von einer "Deutschen Lektion für die Kängurus", während "Blic" mit "Panzer erniedrigen Australien - Deutsche Maschine" titelt. Man darf gespannt sein, wie sich die Berichterstattung in Richtung Wochenausklang noch entwickeln wird!

Die Serben selbst sind im Augenblick erst einmal etwas konsterniert. Aussagen wie "Wir werden bereit sein. Für uns ist hier alles möglich. Wir können jeden schlagen, komme, wer will" des ehemaligen Berliners und eventuell kommenden Schalkers Marko Pantelic oder "Das erste Spiel ist ein kleines Finale, zumal wir es danach mit den Deutschen zu tun bekommen. Aber ich bin sicher: wir gewinnen." von Star-Verteidiger Nemanja Vidic (Manchester United) werden den ambitionierten Serben nun sicherlich daheim um die Ohren gehauen. "Press" titelt auf seiner Onlinepräsenz: "Serbien verliert gegen Ghana: Desillusionierung zum Start, aber es geht weiter!", dabei wurde doch das Achtelfinale als Minimalziel ausgegeben. Kapitän Dejan Stankovic greift daher schon zur ersten Durchhalteparole oder will eine Trotzreaktion bewirken: "Es bleibt uns nichts anderes übrig als aufzustehen und gegen Deutschland besser zu spielen", sagte der Akteur von Inter Mailand nach dem Spiel, das im Stuttgarter Zrdavko Kuzmanovic seinen tragischen Helden hatte. Dieser entschuldigte sich unter Tränen bei den hoffnungsvollen Landsleuten: "Ich habe eine Dummheit gemacht, es fällt mir sehr schwer. Ich will mich bei allen entschuldigen." Sein Handspiel verursachte den entscheidenden Elfmeter, den Ghanas Asamoah Gyan sicher verwandelte.

Über die Slowenen lässt sich deutlich weniger schreiben, wahrscheinlich weil sie nicht in der deutschen Gruppe agieren. Doch einige hundert Kilometer nordwestlich Serbiens dürfte das 1:0 der Slowenen gegen Algerien erfreulich aufgenommen worden sein. Laute Töne vernahm man von den Kickern am Fuße der Alpen im Gegensatz zu den Serben keine. Trainer Matjaz Kek wollte nach dem Spiel auf seine Spieler stolz sein und bedankte sich, dass sie ihm die Möglichkeit gegeben haben, bei einer WM als Trainer dabei zu sein. Beides ist ihm nun gelungen und man darf gespannt sein, wie sich die Slowenen gegen die beiden vermeintlichen Gruppenfavoriten aus den USA und vor allem England schlagen werden. Drei Punkte auf der Habenseite sind dabei sicher gerne gesehen!

Zu guter Letzt noch etwas Lustiges, nämlich die slavisierte Mannschaftsaufstellung der Deutschen:

Nojer - Lam, Fridrih, Mertezaker, Badštuber - Kedira, Švajnštajger, Miler, Ezil (od 74. Gomez) - Podolski (od 81. Marin), Klose (od 68. Kakau). SELEKTOR: Joakim Lev

Fand ich irgendwie niedlich! :-)

Sonntag, 13. Juni 2010

Balkan goes World Cup 2010 - Part I: Beli Orlovi

Wenn "Weiße Adler" gegen "Schwarze Sterne" antreten, dann ist das eigentlich kein Ausflug der großen Greifvögel in höhere Sphären, sondern ein WM-Spiel am heutigen Sonntag, das dazu noch in der deutschen Gruppe stattfindet. Die "Black Stars" aus Ghana fordern demnach die "Beli Orlovi" aus Serbien. Meine Aufgabe bei der WM ist übrigens neuerdings die genaue Betrachtung der Berichterstattung über unsere Balkan-Teilnehmer aus Slowenien und eben Serbien. Aber ihr werdet sehen: Weit komme ich heute nicht!

"Beli Orlovi", hm... wo kommt die Bezeichnung her? Wikipedia beantwortet diese Frage fix:

Die Weißen Adler (serb.: Beli Orlovi, kyrillische Schreibweise: Бели Орлови) waren eine von 1991 bis 1995 aktive serbische paramilitärische Gruppe im Gefolge der Serbischen Erneuerungsbewegung und der Serbischen Radikalen Partei[1][2]. Die meisten Mitglieder dieser Einheiten bezeichneten sich als Tschetniks.[3] Das Symbol der Weißen Adler war in Anlehnung an das Wappentier Serbiens ein gekrönter Adler mit zwei Köpfen. Die paramilitärische Einheit wurde im Jahr 1991-1992 von Dragoslav Bokan und Mirko Jović gegründet.[4][5][6] Vojislav Šešelj sagte vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien aus, dass die Organisation von Jović gegründet wurde, er jedoch bald die Kontrolle verloren habe.[7] Gemäß dem ICTY wurden von den Weißen Adlern zahlreiche Kriegsverbrechen während des Kroatienkrieges und des Bosnienkrieges begangen[8][9], das Massaker in Višegrad, Verbrechen in Foča[10], Gacko[11] und weitere Verbrechen. Mehrere Mitglieder der Weißen Adler wurden vor dem ICTY angeklagt und zum Teil auch verurteilt, darunter auch Milan Lukić[12] und Mitar Vasiljević.[13]


Wow, der Haken hat gesessen! Da beginne ich meine Berichterstattung gerade und die erste Zeile des heutigen Kicker-Berichtes ist gleich ein dicker politisch-nationaler Kracher, der vor historischen Verweisen nur so strotzt! Ok, dann stellt sich nun eine Frage: Berufen sich die Kicker bzw. ihre Fans auf diese "kriminelle" Vereinigung oder existierte der Spitzname für das kickende Aushängeschild schon früher? Eine Onlinerecherche dazu ist schwierig, da der Begriff tausende Male vorkommt und das Balkan-Forum dabei ebenfalls mehrere Seiten an Threads mit diesem Schlagwort ausspuckt. Klar ist immerhin, dass der weiße doppelköpfige Adler auf das serbische Staatswappen verweist (siehe Bild links). Die Symbolik des gekrönten Doppeladlers findet sich in der serbischen Geschichte häufig und geht auf das 12. Jahrhundert zurück als sich Stefan Nemanja mit der Übernahme des gekrönten Doppeladlers der Byzantiner auf eine Stufe mit dem Kaiserreich stellte. Im 15. Jahrhundert wurde das Wappen zunehmend allgemein als Symbol Serbiens akzeptiert und 1882 mit der Ausrufung des Königreichs Serbien zum Staatswappen. Es galt mit wenigen graphischen Abwandlungen auch für das Jugoslawische Königreich bis 1941. Seit 1992 ziert der weiße Doppeladler wieder das Staatswappen Serbiens, nachdem er in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien nicht verwendet wurde.

Historisch stellen die Beli Orlovi also einen klaren Verweis auf Serbien dar, der auch ohne die Übertragung auf die oben erwähnte paramilitärische Organisation als Ableitung für die Nationalmannschaft nachvollziehbar ist. Welche Botschaft die Fans der Beli Orlovi mit der Übernahme eines mittlerweile durchaus belasteten Namens vermitteln wollen bleibt unklar. Serbisch-nationaler Radikalismus war zur Zeit Slobodan Milosevics, in der sich das heutige Serbien bildete, Grundlage großserbischer Ambitionen. Die Querverbindungen zu den paramilitärischen Beli Orlovi sind auf dieser Ebene unverkennbar, soll doch Milosevic in den Jugoslawischen Nachfolgekriegen die Bildung solcher Gruppierungen als seiner Ziele dienlich nachdrücklich unterstützt haben. Großserbische Ambitionen könnten also durchaus über die Bezeichnung der Nationalmannschaft transportiert werden, jedoch darf man dabei wieder nicht pauschalisieren und alle Fans über einen Kamm scheren.

Alles in allem bleibt also bei der Bezeichnung Beli Orlovi für die serbische Nationalmannschaft ein fader Beigeschmack, zumal wir Deutschen mit historischen Belastungen ja unsere Erfahrungen haben (ich für meinen Teil kann die italienische Bezeichnung SS bei Sportvereinen aus diesem Grund absolut nicht abhaben, z.B. in SS Lazio Roma, und kürze auch Sommersemester anders ab) . Es ist nicht auszuschließen, dass erst die jüngste historische Entwicklung den Namen kompromittiert hat. Aber ebensowenig ist es auszuschließen, dass einem Teil der Serben die Bezeichnung nicht nur trotz ihrer Implikationen gefällt, sondern gerade deswegen als politisch-nationale Botschaft übernommen wird. Nicht zuletzt wird der Fanklub "Beli Orlovi" der serbischen Nationalmannschaft in der Fußballszene als "rechts" bezeichnet. Insgesamt lässt sich keine glasklare Antwort finden. Klar ist jedenfalls, dass der Spitzname Weiße Adler durchaus Anlass zu kontroversen Diskussionen liefern und zu kritischen Auseinandersetzungen führen kann.

Der Spitzname der Slowenenen ist übrigens dagegen fast handzahm: "Die grünen Drachen" hören sich auf dem ersten Blick zwar martialisch und bedrohlich an, wecken in mir aber irgendwie nur die Assoziation eines kleinen grünen Drachens, der unbedingt Feuerwehrmann werden will... Politische Implikationen findet man bei den Slowenen jedenfalls nicht! Von daher wünsche ich euch ein friedliches Fußballwochenende (oder drücke euch die Daumen für eine erfolgreiche Flucht vor den Vuvuzelas)! :-)

Samstag, 12. Juni 2010

Wo begegnet mir Religion in der Stadt?

Auch zu diesem Thema möchte ich meine Gedanken kurz sortieren und euch vorstellen. Zuerst einmal zu meinem persönlichem Gottesbild, das als Grundlage für alle Wahrnehmungen im kommenden Beitrag notwendig ist, um meinen Blick auf die Religion nachzuvollziehen. Ich bezeichne mich seit einigen Jahren nicht mehr als gläubig. In der Konfirmationszeit habe ich mir Gedanken über Gott und Glauben gemacht, anschließend in der Gemeinde eine Jugendgruppe mitgeleitet. Ich bin regelmässig in die Kirche gegangen und habe abends gebetet. Mit dem Abitur endete diese Phase, die Jugendgruppe wurde fusioniert und ich verabschiedete mich Richtung Fußball.

Nach meiner Selbständigkeit begann ich - nachdem ich nach einem Semester von Germanistik genug hatte - Evangelische Theologie zu studieren. Je mehr ich mich aber mit der Materie beschäftigte, umso geringer wurde meine Überzeugung. Eskaliert ist der Gewissenskonflikt an einer Seminardiskussion um Rudolf Bultmann (1884-1976), dessen These ich zu hundert Prozent teilen konnte, dabei aber im Seminar auf große Ablehnung, ja sogar Unverständnis und offene Opposition stieß:

Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“ Bultmann, 1941

Als ich dann finanziell pausieren musste reifte der Entschluß, dass ich nicht in der Lage bin, den christlichen Glauben in der Form, wie es geschehen sollte, an junge Menschen weiterzugeben. Heute bin ich froh um diese Entscheidung und habe ein kritisches Verhältnis zur "Indoktrinierung" in der Schulzeit. Aber das ist eine andere Geschichte...

Insgesamt betrachtet ist mein Glaube nicht mehr vorhanden: Die Bibel ist ein schönes Geschichtsbuch aus dem 2. und 3. Jahrhundert, das die Basis für moralisches und ethisches Handeln liefern soll, zu oft aber für andere Aussagen missbraucht wird und im Endeffekt willkürlich der damaligen politischen Situation angepasst kompiliert wurde. Sie ist in meinen Augen kaum zeitgemäß auslegbar und maximal im übertragenen Sinne auf die heutige Zeit anwendbar. Mein persönlicher Glaube ist derzeit erloschen. Es gibt für mich eine höhere Entitiät, die vor Abermillionen von Jahren die Evolution angestoßen hat, den Urknall auslöste. An soviel Zufall glaube ich nicht, als dass wir alle in unserer Existenz ein Lottogewinn des Universums sind.

Aber Gott ist in meiner Welt nicht wirksam, ich sehe nicht ihn, sondern das, was andere Menschen in ihm glauben zu sehen und das für uns alle sichtbar machen! Kompliziert? Auf dem ersten Blick vielleicht. Ich möchte das weiter ausführen (wird ohnehin wieder ein Roman): Gott zeigt sich nicht. In der Bibel gibt es Stellen, in denen das vorkommt, aber eine reale Begegnung mit Gott gehört in die Welt der Mythen, Wunder und Heiligenlegenden. Es gibt für mich eben keinen tragbaren Gottesbeweis! Auch in seinem Wirken auf Erden zeigt sich mir kein Gott. Ich erlebe lediglich die Ideen und Gedanken, Bräuche und Traditionen, religiöse Bauten und äussere Zeichen der Verehrung. Diese wiederum kommen von Institutionen, die für sich selbst in Anspruch nehmen, die religiöse Wahrheit zu kennen, den richtigen Glaubensweg zu beschreiten und dabei oftmals kaum nach links und rechts schauen.

Wo also begegnet mir als Ungläubigen - ich bezeichne mich am ehesten als Agnostiker - in der Stadt Religion? Zum einen, wie schon beschrieben, in den baulichen Ausdrücken der einzelnen Institutionen. Immer wenn ich aus meinem Küchenfenster schaue, blicke ich auf einen Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Sind die Fenster offen, dann kann ich die Glocken der naheliegenden katholischen Kirche hören. Aber die sind hier leiser als anderswo, warum auch immer. Gar nicht weit weg, wenige hundert Meter eine Querstraße hinunter, ist eine Moschee gebaut worden. Ohne Minarett und daher ohne lächerliche Proteste - aber das ist wieder ein anderes Thema. Zu dieser habe ich aber keinen Kontakt, fahre den Weg selten und die muslimischen Gläubigen wohnen eher in den Stadtteilen auf der anderen Seite der Moschee. An manchen Ecken in der Stadt, besonders im katholischen Oer, gibt es kleine Kapellen, vielmehr kleine überdachte Andachtstellen mit einem Kreuz oder einer Marienstatue. Hinweisschilder zu Gottesdiensten im Straßenverkehr oder in der Nähe von Gemeinden sind natürlich auch zu entdecken, ebenso wie christliche Symbolik an Friedhöfen.

Damit verschwindet das unmittelbar Ersichtliche an religiöser Praxis aus meinem Sichtfeld. Erkennbar wird Glaube nun vielmehr durch äussere Zeichen, seien es Schmuck oder Kleidung (das Kopftuch zum Beispiel). Gerade das christliche Kreuz ist dabei jedoch oftmals nur noch Mode. Sein Tragen erfüllt häufig nur noch den Aspekt des "sieht doch gut aus, egal was es bedeutet". Wie schon im Seminar angesprochen glaube ich, dass wir in einem christlichen Umfeld vermehrt das wahrnehmen, was anders ist. Wir registrieren unsere christliche Umgebung nicht so stark, weil wir sie gewohnt sind. Sie ist Alltag, das ist das "Andere" nicht - und daher fällt uns dieses eher ins Auge.

Im Urlaub ist das anders, da kommen Kirchen und anderen Sakralbauten touristische Dimensionen zu. Gerade in Rom wird man dann von Kathedralen und Kirchen, Kapellen und Domen erschlagen - aber schön sind sie immer! Damit kann man einen ästethischen Zugriff verbinden: Schöne, gepflegte Sakralbauten fallen stärker auf, als die evangelische 70er-Jahre-Kirche ohne Turm, der die Schließung droht. In Rom ist aus naheliegenden Gründen das Erlebnis einer gläubigen Stadt präsenter, denn neben Sakralbauten an jeder Ecke findet man auch die Überreste "heidnischer" Tempel im Stadtbild, oft einfach umgewandelt in Kirchen. Nonnen und Mönche sind im Stadtbild ebenfalls vermehrt wahrzunehmen, besonders wenn erstere den Petersdom mit dem Handy photographieren - irgendwie ein Anachronismus für mich, aber das ist ebenfalls ein anderes Thema...

Meine Wahrnehmung von Religion im Stadtbild ist bestimmt eine andere als eure - unter Garantie sogar! Vielleicht schreibt ja der ein oder andere noch etwas dazu, ich habe für heute fertig - ho finito! Ich hoffe, es fühlt sich keiner von meiner stark religionskritischen Position angegriffen.

Wer nun Gefallen an und Neugierde auf Rom gefunden hat, der kann hier mal im StudiVZ mein Fotoalbum betrachten. Für Stefan und seine Frage nach der Religion in der Stadt: Schau mal hier. Irgendwo gibt es dort auch noch eine graphische Übersicht, wo du in NRW welchen Glauben antriffst. Wäre für dein Bochum-Projekt im kommenden Semester sicher interessant. Muss da mal weiter suchen...

Freitag, 11. Juni 2010

Stadt und Staat - eine Theorie

Bei den nachfolgenden Überlegungen möchte ich mich möglichst unabhängig von Fachliteratur oder offiziellen Theorien bewegen und einfach mal meine Gedanken zu dem Thema sortieren. Daher werde ich einiges an Angriffsfläche bieten und hoffe, dass ihr einige der Fäden am Ende aufnehmt und uns die Diskussion letztlich vielleicht sogar weiterhilft. Meine These, die heute von Stefan ja bereits aufgenommen wurde, lautet also:

Die Ausprägung von Staatlichkeit setzt die Existenz von Städten voraus

Ohne gleich zu Beginn der Menschheitsgeschichte einsteigen zu müssen setze ich voraus, dass sich aus Nomaden nach und nach sesshafte Familienverbände, Stämme oder Völker entwickelten. Die dadurch entstehenden dauerhaften Siedlungen im Übergang von Jäger-und-Sammler-Kulturen zu Vieh- und Landwirtschaft betreibenden Kulturen sind meiner Kenntnis nach unumstritten. Orte zur dauerhaften Ansiedlung waren naturgemäß Fluß- und Küstengebiete mit fruchtbarem Land. Diese sogenannten Flußkulturen spielten auch eine Rolle in der Ausprägung erster Religionen, aber das soll hier nun nicht das Thema sein und ich werde den religiösen Aspekt auch weiterhin größtenteils aussen vor lassen.

Wo sich Menschen niederlassen, da entstehen Versorgungsnotwendigkeiten: Saatgut, Werkzeuge, Nahrung usw. sind nicht immer und überall ausreichend vorhanden, zum Teil sind die entstehenden Dorfgemeinschaften auf Jäger und Sammler, aber auch auf Nachbarortschaften angewiesen. Worauf ich hinaus will: Es entsteht Handel, aus der reinen Subsistenzwirtschaft wird im Laufe der Zeit eine differenziertere Gesellschaft mit Arbeitsteilung und Spezialisierung. Städte an wichtigen Wasser- und Landwegen werden zu Handelsknotenpunkten, an denen sich zunehmend Menschen ansiedeln, um vom Handel zu leben.

Der Schutz der eigenen Erzeugnisse vor Rivalen wird zunehmend wichtiger, es entsteht die Notwendigkeit Befestigungen einzurichten und die eigenen Waren gegen Übergriffe zu schützen. Zuvor musste natürlich schon das eigene Land bzw. das Hab und Gut geschützt werden. In den sich etablierenden Ortschaften übernimmt die Aufgabe des Schutzes in der Regel ein - auf welche Weise auch immer etablierter und legitimierter - Herr(scher). Es entwickeln sich Hierarchien und Abhängigkeiten, Reichtum und Armut, Macht wird ausgeübt und es wird sich ihr gebeugt. Letztlich entsteht eine Gesellschaft mit klaren Strukturen nach innen und außen. Der Horizont der Ortschaften wird nach und nach erweitert, es entsteht Handel über größere Räume und Distanzen. Tauschgeschäfte werden zunehmend durch eine Währung ersetzt usw. Ich denke die Entwicklung ist weitgehend verständlich geworden. Oft erfolgen die hier chronologisch erscheinenden Abläufe auch zeitgleich.

Die Entwicklung von Städten wird unterstützt von der Ansiedlung religiöser Einrichtungen bzw. um religiöse Einrichtungen entstehen neue Ortschaften. Ebenso entwickeln sich um strategisch wichtige Stützpunkte zur Verteidigung Siedlungen, die die Versorgung der Kämpfenden sicherstellen. Ohne Organisation ist über den Status einer Bürgerwehr hinaus keine militärische Operation möglich. Kriegsführung setzt also ebenfalls die Entstehung von Infrastruktur voraus, seien es Straßen, Handel oder Handwerk. Summa summarum: Es entsteht eine Gesellschaft, wie wir sie in den antiken Kulturen vorfinden: Bauern und Handwerker, Krieger und eine elitäre Führungsschicht unterschiedlichster Legitimation. Als Beispiele für meine hier entwickelte Theorie dienen zum Beispiel die griechischen Poleis.

Durch Interaktion untereinander entwickelt sich nach und nach ein politisches Geflecht von Bündnissen und Handelsvereinbarungen. Der Einfluß einzelner Gesellschaften auf ihre umliegenden Nachbarn wächst, es entstehen auch auf dieser Ebene Hierarchien und Abhängigkeiten, letztlich ganze Reiche mit abhängigen Provinzen. Diese wiederum werden von Städten aus verwaltet, die als Residenzstädte nun auch fiskalische und ökonomische Aufgaben auf einem neuen, komplexeren Niveau übernehmen. Nur durch ökonomische und administrative Infrastruktur und der Ausübung politischer und militärischer Macht (zu Beginn naturgemäß meistens synonym zu verstehen) gelingt die Schaffung größerer Staatswesen und Organisationsformen. Grundlage dafür sind auf nahezu allen Ebenen die städtischen Zentren, ohne deren Funktionen ein wie auch immer geartetes Staatsprojekt nicht möglich ist.

Die wichtige Rolle von Wirtschaft und Ökonomie kommt auch in der volkswirtschaftlichen wikipedia-Definition des Begriffes "Staat" deutlich zu tragen:

Als Staat bezeichnet man in der Volkswirtschaftslehre jedes hoheitlich tätige Wirtschaftssubjekt, beispielsweise eine Regierung, eine Verwaltung sowie teilweise eine Institution sui generis. Der Staat wird als Summe aller Zwangsverbände betrachtet. Staatliches Handeln im volkswirtschaftlichen Sinn umfasst demnach die Tätigkeit aller politischer Ebenen (d. h. kommunaler, regionaler und bundesstaatlicher Einrichtungen).

Der Staat wird als wirtschaftlich agierendes Subjekt unter dem Aspekt seiner Rolle und Bedeutung für eine Volkswirtschaft betrachtet. Die Volkswirtschaftslehre sieht den Staat als zentralen Träger der Wirtschaftspolitik an. Über Ordnungspolitik, Strukturpolitik und Prozesspolitik soll er die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems sicherstellen.

In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist der Staat ein Element des Wirtschaftskreislaufs. Er greift über monetäre Transaktionen in Marktabläufe ein: etwa durch Staatskäufe von Waren und Dienstleistungen als auch durch Steuern und Transferzahlungen (z. B. Subventionen). Die Steuerung dieser einzelnen Positionen (Fiskalpolitik) beeinflusst den Haushaltsplan und die Staatsverschuldung.


Mein Schluß aus dieser Argumentation: Es ist nicht möglich, ein Staatswesen ohne Städte aufzubauen und zu unterhalten. Ohne die ökonomische und administrative Unterstützung von urbanen Zentren kann ein Staatswesen keine wirkliche Macht ausüben. Diese Situation wurde besonders dann deutlich, als sich die Städte ihres Einflusses zunehmend bewusster wurden. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde es für den König bzw. Kaiser immer wichtiger, die Städte zufrieden zu stellen und in sein Staatsgefüge zu integrieren. Ohne Unterstützung durch die wirtschaftlichen Kapazitäten der urbanen Zentren war an eine effektive Machtpolitik nicht zu denken. Städte und Stadtstaaten, vor allem in Italien (zum Beispiel Venedig oder Genua) waren trotz ihrer territorialen Nachteile über weite Phasen des späten Mittelalters stark genug, viel größere Reiche wirtschaftlich zu dominieren bzw. in Abhängigkeit zu bringen (die Kreuzzüge waren ohne ihre Unterstützung oftmals nicht möglich, ein Umstand, den sich die italienischen Hafenstädte natürlich zu Nutzen machten).

Aber ich schweife ein wenig ab, ich weiß, der Historiker ist hier wieder stärker am Werk als der Mensch. Abschließend möchte ich daher Stefans These aufgreifen, der mir natürlich direkt das Mongolische Reich als Gegenbeispiel vor die Nase gedrückt hat. Auf dem ersten Blick hat er da Recht: Die Mongolen unterwarfen mit ihrer nomadischen Art der Kriegsführung große Teile Asiens und drangen weit in den Westen vor. Dabei nahmen sie keinerlei Rücksicht auf die vorhandene Infrastruktur und lebten "aus dem Land heraus", sprich: Sie versorgten sich wie viele Kriegszüge zu allen Zeiten von dem, was der Landstrich gerade so hergab. In dem Sinne kann man schon eine geringere bis irrelevante Bedeutung von Städten erwarten, aber auch die Frage stellen, wie stabil ein solches Staatsgefüge dauerhaft wäre. Zerstörung und oben beschriebene Lebensart können nicht unendlich weitergehen. An der Peripherie wäre ein derartiges Reich immer angreifbar, die tausende von Kilometer lange Grenze ist doch schon rein logisch nicht zu verteidigen. Was also machte das Mongolische Reich dennoch zu einem derartigen Machtfaktor?

Auch hier mag wikipedia - bei aller vorgeworfenen Unwissenschaftlichkeit - helfen:

Die Mongolen nutzten die strategische Chance dieses Machtvakuums aus und verbanden alle diese Regionen dank erdrückender mongolischer Kriegführung zu einer Art Staatenverband mit politischen wie wirtschaftlichen Interessen. Sie waren vom Handel mit den städtisch siedelnden Völkern vollständig abhängig. Als Nomaden waren sie kaum in der Lage, Vorräte anzulegen oder das Handwerk zu fördern, um technische Erzeugnisse zu produzieren.

Man unterstellt, Dschingis Khans Ziel sei nicht die Unterwerfung der benachbarten Kulturen unter die nomadische Lebensweise gewesen, sondern ihre Zerstörung. Der Herrscher der Nomaden habe angeblich die Vorteile städtischer Lebensweise nicht verstanden. In Wirklichkeit wurde er sich der Bedeutung des wirtschaftlichen Zusammenhangs mit diesen Völkern im Laufe der Zeit sehr wohl bewusst.

Im Laufe weniger Jahrzehnte begriffen die Mongolen unter Yelü Chucai und Sorghaghtani Beki (siehe „Staatsphilosophie“ unten), welche Bedeutsamkeit im Beibehalten des Status Quo liegt. Ihre Fürsten versuchten nun auch im Interesse der sesshaften Bevölkerung zu handeln, auch wenn das nicht zu jeder Zeit gelang.

Wenn den städtischen Völkern erlaubt wurde, ihre Lebensweise fortzusetzen (so sehr diese dem Khan auch fremd erschienen sein mochte), konnten sie einen Überschuss der Nahrung und der Waren produzieren, deren Teil als Steuern an den Khan zu zahlen war. Dies verhieß der aggressiven Politik des Khans einen außerordentlichen ökonomischen Erfolg. Dschingis Khans Nachfolger Ugedai Khan willigte um 1234 ein, seinen Tribut in eine Steuer umzuwandeln; auf diese Weise wurden zahllose Leben und ganze Kulturen gerettet.

Dschingis Khan hatte ursprünglich nicht die Absicht, ein Weltreich zu errichten. Jeder seiner Eroberungen ging eine besondere Erörterung der sich entwickelnden politischen Lage und der ökonomischen Vorteile voraus. Ein Beispiel ist die Eroberung der nordchinesischen Hauptstadt Peking 1215. Er schlug nach der Eroberung der Hauptstadt die Chance aus, die Erweiterung auf ganz Nordchina auszudehnen und kehrte nach seinem Sieg einfach nach Hause zur Steppe zurück. Der Krieg gegen das Choresmische Reich 1219–21 begann aufgrund von Handelstreitigkeiten.

Man sieht also, das selbst das Mongolische Reich auf Handel und Wirtschaft, sprich: auf städtische Zentren angewiesen war, um seine Expansionspolitik auszuüben. Auf der Suche nach einem weiteren Gegenbeispiel bin ich nun auf eure Hilfe angewiesen, denn mir fällt gerade keines ein. Die Wikinger wären vielleicht eine Variante, doch deren Einfälle in England und Frankreich waren vor allem ökonomisch begründet und endeten mittelfristig immer in Landnahme und Übernahme der Vorteile städtischer Lebensweise (Wikinger = Nordmänner = Normannen = Normandie). Ich werde noch etwas weiter grübeln, aber ich habe ja auch noch euch: Grübelt doch einfach mal mit!

Stadt, Land, Fluß... ähm, ok: Stadt

Soderle, möglichst zeitfern wolltest du dein Blog auf Bestellung haben, Stefan. Hier kommt es nun!

Das Thema "Stadt" in meinem Blog ist direkt eigentlich wenig erwähnt. Dennoch ist es andererseits mit wenigen Ausnahmen immer präsent. Die geographische Frage nach der Verortung des Balkans kommt ohne spezielle Verweise auf Städte aus, jedoch ist für mich Urbanisierung eine Grundlage von Staatlichkeit. Und diese findet sich eigentlich in einer geographischen und territorialen Beschreibung naturgemäß sehr häufig! In Wolf Oschlies Artikel zur Balkanfrage spielt die Stadt dann eine unmittelbare Rolle ["Wo fängt der Balkan an, auf gewissen Straßen der Wiener Innenstadt oder in Harburg"].

In der Frage, ob die Türkei zum Balkan gehöre, tritt der Stadtbegriff wieder in den Hintergrund, nur um bei der Frage nach dem Begriff "Mittelalter" und dem ersten Teil des historischen Überblicks (ups...) im Zentrum zu stehen: Rom und Konstantinopel/Byzanz sind Bezugsgrößen, ohne die Geschichtswissenschaft selbst auf einer ausdrücklichen Metaebene kaum denkbar ist. Auch wenn meine Schilderung oft auf dieser Überblicksebene bleibt: Städte werden im Mittelalter bedeutender und letztlich zunehmend einflussreicher im Sinne von staatstragender. Man beachte alleine schon ihre zunehmende Bedeutung als Handels- und Glaubens-, Kultur- und Bildungszentren. Als Beispiel mag die katholische Kirche dienen, deren Hierarchie grundlegend auf Städte angewiesen ist: Rom/Vatikan an der Spitze, setzt sich ihr Aufbau über Erzbischofssitze, Bischofssitze bis hin zur kleinsten Dorfpfarrei fort. Ohne städtische Struktur wäre eine Verwaltung, nicht nur der Kirche, kaum denkbar. Herrschaftssitze und Verkehrsknotenpunkte, Kloster und Produktionsstätten - allesamt haben sie durch Ansiedlung von Menschen an Bedeutung gewonnen, sind Städte geworden und zum Teil auch wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Geschichte ohne Städte? No way!

Ich denke damit dürfte das meiste genannt sein. Natürlich findet sich das Thema Stadt auch in meiner WM-Utopie wieder (ups...), in der es sich um Johannesburg dreht, in meiner Urlaubsbeschreibung (ups...) unter anderem Pulas und letztlich im Eurovision Song Contest mit dem Austragungsort Oslo. Die Stadt als wichtiges gesellschaftliches Strukturelement bedarf eigentlich einer weiter führenden Ausarbeitung als dieses Blog auf Bestellung aus dem Bauch heraus. Mal schauen, ob sich dafür nachher in der Sitzung Ansatzpunkte ergeben!

PS: Das "ups..." zeigt nur, dass ich versprochene Fortsetzungen nicht eingehalten habe...