Samstag, 12. Juni 2010

Wo begegnet mir Religion in der Stadt?

Auch zu diesem Thema möchte ich meine Gedanken kurz sortieren und euch vorstellen. Zuerst einmal zu meinem persönlichem Gottesbild, das als Grundlage für alle Wahrnehmungen im kommenden Beitrag notwendig ist, um meinen Blick auf die Religion nachzuvollziehen. Ich bezeichne mich seit einigen Jahren nicht mehr als gläubig. In der Konfirmationszeit habe ich mir Gedanken über Gott und Glauben gemacht, anschließend in der Gemeinde eine Jugendgruppe mitgeleitet. Ich bin regelmässig in die Kirche gegangen und habe abends gebetet. Mit dem Abitur endete diese Phase, die Jugendgruppe wurde fusioniert und ich verabschiedete mich Richtung Fußball.

Nach meiner Selbständigkeit begann ich - nachdem ich nach einem Semester von Germanistik genug hatte - Evangelische Theologie zu studieren. Je mehr ich mich aber mit der Materie beschäftigte, umso geringer wurde meine Überzeugung. Eskaliert ist der Gewissenskonflikt an einer Seminardiskussion um Rudolf Bultmann (1884-1976), dessen These ich zu hundert Prozent teilen konnte, dabei aber im Seminar auf große Ablehnung, ja sogar Unverständnis und offene Opposition stieß:

Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“ Bultmann, 1941

Als ich dann finanziell pausieren musste reifte der Entschluß, dass ich nicht in der Lage bin, den christlichen Glauben in der Form, wie es geschehen sollte, an junge Menschen weiterzugeben. Heute bin ich froh um diese Entscheidung und habe ein kritisches Verhältnis zur "Indoktrinierung" in der Schulzeit. Aber das ist eine andere Geschichte...

Insgesamt betrachtet ist mein Glaube nicht mehr vorhanden: Die Bibel ist ein schönes Geschichtsbuch aus dem 2. und 3. Jahrhundert, das die Basis für moralisches und ethisches Handeln liefern soll, zu oft aber für andere Aussagen missbraucht wird und im Endeffekt willkürlich der damaligen politischen Situation angepasst kompiliert wurde. Sie ist in meinen Augen kaum zeitgemäß auslegbar und maximal im übertragenen Sinne auf die heutige Zeit anwendbar. Mein persönlicher Glaube ist derzeit erloschen. Es gibt für mich eine höhere Entitiät, die vor Abermillionen von Jahren die Evolution angestoßen hat, den Urknall auslöste. An soviel Zufall glaube ich nicht, als dass wir alle in unserer Existenz ein Lottogewinn des Universums sind.

Aber Gott ist in meiner Welt nicht wirksam, ich sehe nicht ihn, sondern das, was andere Menschen in ihm glauben zu sehen und das für uns alle sichtbar machen! Kompliziert? Auf dem ersten Blick vielleicht. Ich möchte das weiter ausführen (wird ohnehin wieder ein Roman): Gott zeigt sich nicht. In der Bibel gibt es Stellen, in denen das vorkommt, aber eine reale Begegnung mit Gott gehört in die Welt der Mythen, Wunder und Heiligenlegenden. Es gibt für mich eben keinen tragbaren Gottesbeweis! Auch in seinem Wirken auf Erden zeigt sich mir kein Gott. Ich erlebe lediglich die Ideen und Gedanken, Bräuche und Traditionen, religiöse Bauten und äussere Zeichen der Verehrung. Diese wiederum kommen von Institutionen, die für sich selbst in Anspruch nehmen, die religiöse Wahrheit zu kennen, den richtigen Glaubensweg zu beschreiten und dabei oftmals kaum nach links und rechts schauen.

Wo also begegnet mir als Ungläubigen - ich bezeichne mich am ehesten als Agnostiker - in der Stadt Religion? Zum einen, wie schon beschrieben, in den baulichen Ausdrücken der einzelnen Institutionen. Immer wenn ich aus meinem Küchenfenster schaue, blicke ich auf einen Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Sind die Fenster offen, dann kann ich die Glocken der naheliegenden katholischen Kirche hören. Aber die sind hier leiser als anderswo, warum auch immer. Gar nicht weit weg, wenige hundert Meter eine Querstraße hinunter, ist eine Moschee gebaut worden. Ohne Minarett und daher ohne lächerliche Proteste - aber das ist wieder ein anderes Thema. Zu dieser habe ich aber keinen Kontakt, fahre den Weg selten und die muslimischen Gläubigen wohnen eher in den Stadtteilen auf der anderen Seite der Moschee. An manchen Ecken in der Stadt, besonders im katholischen Oer, gibt es kleine Kapellen, vielmehr kleine überdachte Andachtstellen mit einem Kreuz oder einer Marienstatue. Hinweisschilder zu Gottesdiensten im Straßenverkehr oder in der Nähe von Gemeinden sind natürlich auch zu entdecken, ebenso wie christliche Symbolik an Friedhöfen.

Damit verschwindet das unmittelbar Ersichtliche an religiöser Praxis aus meinem Sichtfeld. Erkennbar wird Glaube nun vielmehr durch äussere Zeichen, seien es Schmuck oder Kleidung (das Kopftuch zum Beispiel). Gerade das christliche Kreuz ist dabei jedoch oftmals nur noch Mode. Sein Tragen erfüllt häufig nur noch den Aspekt des "sieht doch gut aus, egal was es bedeutet". Wie schon im Seminar angesprochen glaube ich, dass wir in einem christlichen Umfeld vermehrt das wahrnehmen, was anders ist. Wir registrieren unsere christliche Umgebung nicht so stark, weil wir sie gewohnt sind. Sie ist Alltag, das ist das "Andere" nicht - und daher fällt uns dieses eher ins Auge.

Im Urlaub ist das anders, da kommen Kirchen und anderen Sakralbauten touristische Dimensionen zu. Gerade in Rom wird man dann von Kathedralen und Kirchen, Kapellen und Domen erschlagen - aber schön sind sie immer! Damit kann man einen ästethischen Zugriff verbinden: Schöne, gepflegte Sakralbauten fallen stärker auf, als die evangelische 70er-Jahre-Kirche ohne Turm, der die Schließung droht. In Rom ist aus naheliegenden Gründen das Erlebnis einer gläubigen Stadt präsenter, denn neben Sakralbauten an jeder Ecke findet man auch die Überreste "heidnischer" Tempel im Stadtbild, oft einfach umgewandelt in Kirchen. Nonnen und Mönche sind im Stadtbild ebenfalls vermehrt wahrzunehmen, besonders wenn erstere den Petersdom mit dem Handy photographieren - irgendwie ein Anachronismus für mich, aber das ist ebenfalls ein anderes Thema...

Meine Wahrnehmung von Religion im Stadtbild ist bestimmt eine andere als eure - unter Garantie sogar! Vielleicht schreibt ja der ein oder andere noch etwas dazu, ich habe für heute fertig - ho finito! Ich hoffe, es fühlt sich keiner von meiner stark religionskritischen Position angegriffen.

Wer nun Gefallen an und Neugierde auf Rom gefunden hat, der kann hier mal im StudiVZ mein Fotoalbum betrachten. Für Stefan und seine Frage nach der Religion in der Stadt: Schau mal hier. Irgendwo gibt es dort auch noch eine graphische Übersicht, wo du in NRW welchen Glauben antriffst. Wäre für dein Bochum-Projekt im kommenden Semester sicher interessant. Muss da mal weiter suchen...

3 Kommentare:

  1. Lieber Stefan,

    ich kann nicht behaupten, ich würde mich angegriffen fühlen.ich kann zum Teil vieles,was du geschrieben hast nachvollziehen. Wir leben nicht mehr im Mittelalter und deshalb stellen wir uns Fragen.Jeder hat seine eigene Meinung und jeder richtet sich vielleicht nach dem,was er schon zu sehen bekommen hat.ich lebe seit einigen Jahren in Bochum und vielleicht deshalb müsste ich über Bochum schreiben.Ich kann aber leider nicht sagen, wo ich Gott in Bochum finden kann.Das einzige,was mir einfällt, wäre nur in einer Kirche.Ich weiß nicht,ob ich sehr von der Geschichte beeinflusst werde oder vielmehr von der Orthodoxie,aber in Griechenland finde ich,ist der Gott für mich überall präsent,so wie in Rom wahrscheinlich wie du bereits schon geschrieben hast.Gott ist in Städten, die ich kenne und besucht habe.Thessaloniki(überall in Griechenland),Rom,Neapel mit seinem Prozessionen,die auf den Straßen stattfinden,Istanbul.Ja ich denke,ich werde von meinem Glauben beeinflusst.Ich habe mich nie so eine Frage gestellt,weil ich dachte,dass allein mein Glaube würde schon ausreichend sein.Unser Seminar überhaupt gibt mir schon den Anreiz,mich selber zu fragen.

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  2. Wo begegnet mir Religion in der Stadt?

    Wie ich bereits in unserer Veranstaltung erwähnt habe ist Gott für mich als Moslem allgegenwärtig.

    Ich mag es, wenn ich in der Stadt an die Existenz einer so alten Institution wie der Religion durch Kirchen, Moscheen, Kreuze und weiteren Symbolen erinnert werde.
    Allerdings ist die heutige Zeit sehr geprägt vom Kapitalismus, Menschen müssen hart und viel arbeiten, um Geld zu verdienen, um sich ein Haus oder eine Wohnung leisten zu können, um mit der Familie die Freizeit verbringen zu können usw. usw..
    Durch diese Faktoren ist es möglich, dass der Mensch schnell seinen Glauben vernachlässigt oder vergisst.
    Der gläubige Mensch sollte sich darauf besinnen, dass es neben der Arbeit und allen anderen Verpflichtungen einen Gott gibt, der ihn beschützt und stützt.
    Der gläubige Mensch sollte sich auch daran erinnern, dass Gott immer gegenwärtig ist und Gott für den Menschen deswegen immer erreichbar ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns ein stressiges Leben daran hindert, unseren Glauben zu fühlen und zu leben.
    Sevki Yildirim

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  3. Spontan fällt mir folgendes ein : Mir begegnet Gott (indirekt, denn man begegnet ihm direkt nicht sondern Dingen die er geschaffen hat) überall wo ich einfach in den Himmel schauen kann. Auch wenn ich Menschen sehe, ein Insekt, ein grünes Blatt oder eine Taube sehe. Sobald ich mit lebendigem in Kontakt trete oder lebendiges sehe begegne ich indirekt Gott.

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