Dienstag, 20. April 2010

Eine Region ohne Definition

Weiterhin bin ich auf der Suche nach einer ordentlichen Eingrenzung unseres Leitbegriffes "Balkan". Beim googlen stößt man neben Wikipedia auch auf andere Definitionen. Unter www.politik.de findet sich im Forum eine durchaus heftige Debatte über eine Eingrenzung des Begriffes. Ein längeres Zitat aus dem Beitrag des Threaderstellers CapoeraZ möchte ich mal beifügen:
"Der Balkan als Gebirge reicht vom Schwarzen Meer bis nach Serbien", lautet die Auskunft vom Institut für Geographie und Regionalforschung an der Universität Wien auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Die Balkan-Halbinsel hingegen wird mit dem Bereich südlich der Flüsse Save und Drau beschrieben. Da zählen dann nicht nur die ex-jugoslawischen Staaten und Albanien, sondern auch Griechenland und der europäische Teil der Türkei. Zu den Balkanstaaten im engeren Sinn gehören Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro, Mazedonien und außerdem Albanien. Bei der häufig synonymen Verwendung der Begriffe Balkan und Süd-Ost-Europa gibt es allerdings Ungereimtheiten, denn zu den Balkanstaaten im weiteren Sinne gehören auch Rumänien und Bulgarien (immerhin ist dort das namengebende Gebirge). Zu Südosteuropa werden manchmal aber auch Griechenland und der europäische Teil der Türkei gezählt. Allerdings wird auch von Seiten des Universitätsinstituts betont, dass es keine einheitliche Definition gibt.
Geographisch bekommt also Wikipedia Recht, rein nationalpolitisch wird meine am Samstag im letzten Beitrag umrissene Balkandefinition bestätigt. Aber entscheidend scheint mir der letzte Satz, nämlich dass es keine einheitliche Definition gibt. Das hat "Balkan" dann im übrigen mit "Religion" gemeinsam und es findet sich darüber eine interessante Verknüpfung zum zweiten Themenschwerpunkt "Islam".

Aber bleiben wir vorerst noch beim "Balkan". Die im Forum entstandene Debatte dreht sich in der Folge um verschiedene Raum- und Zeitkonzepte, die den "Balkan" definieren können: Natürliche Grenzen, Geographie, Geschichte, Vegetation und viele mehr. Jeder dieser Blickwinkel definiert unseren Begriff neu. Mir scheint, als dass wir uns auf zwei Eingrenzungen beschränken müssen, die sich für unser Thema am besten eignen: Geschichte und Religion.


Folgen wir diesem Weg bringt die Diskussion eine weitere Variante ins Spiel. "Balkan" ist demnach das Gebiet Europas, welches über einen längeren Zeitraum hinweg unter muslimischer Herrschaft stand. User cogito bekommt also auch ein Zitat:
Österreich, Ungarn, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro, Mazedonien, Albanien, Rumänien, Moldawien, Bulgarien, Griechenland, Zypern, Ukraine, Armenien, Georgien, Russland (im Kaukasus) und eventuell noch die Türkei selbst (zumindest der europäische Teil) und Aserbaidschan (ebenfalls europäisches Land!?, andererseits sind die Aseris doch ein Turkvolk, oder irre ich mich?). Slowenien wäre tatsächlich kein Balkanland.

Übrigens, unter gebildeten Serben (prominentes Beispiel: Vojislav Kostunica) ist genau diese Definition gebräuchlich.
Historisch ist diese Einteilung natürlich legitim, jedoch hat auch sie in meinen Augen ein Problem: Sie berücksichtigt nicht die Intensität einer muslimischen Herrschaft. Einige genannten Regionen standen nur kurz, andere wiederum sehr lange unter Einfluß des Osmanischen Reiches. Hinzu kommt in großen Reichen immer die Situation "reichsnaher" und "reichsferner" Gebiete. Der Grad der Durchdringung - auch in religiöser Hinsicht, um die zweite Ebene unseres Themas einzubinden - der angetroffenen Kultur und die Möglichkeit weitgehend eigenständiger Herrschaftsausübung und Kulturentwicklung, z.B. als tributpflichtiger Staat ohne administrative und konfessionelle Restriktionen, werden hier nicht berücksichtigt.

Interessant ist die Ausgrenzung Sloweniens und der Verweis auf Serbien. Hier kommt Stefans Kommentar zu meinem letzten Beitrag in die Suche nach einer Definition. Er verwies auf die Möglichkeit einer Begriffsdefinition in Abgrenzung zu etwas anderem. In der Tat scheint, wie schon im Vorpost erwähnt, keine Nation so richtig zum Balkan gehören zu wollen. Für die Italiener und Österreicher beginnt der Balkan in Slowenen, für diese wiederum in Kroatien, für die Kroaten und Serben im Kosovo usw. Alle, gerade die christlich geprägten Staaten, nehmen oft für sich in Anspruch, dass sie die europäisch-christliche Zivilisation gegen die anstürmenden "Ungläubigen" verteidigt haben und das oftmals in ideologischer Selbstzuschreibung noch tun.

Einen schönen Schlußpunkt bringt User Midia in die Debatte unter www.politik.de, bevor das Thema abgleitet. Er zitiert den slowenischen Philosophen und Kulturkritiker Slavoj Žižek (*1949) zu genau diesem Thema (das sich meiner Meinung nach sehr schön für eine Hausarbeit eignet):

Der Balkan ist also immer der Andere, er liegt irgendwo anders, immer ein wenig weiter im Südosten, und in diesen Zusammenhang gehört auch das Paradox, dass wir am unteren Ende der Balkanhalbinsel dem Balkan wieder auf wundersame Weise entkommen sind (da Griechenland eigentlich nicht mehr richtig dazugehört, sondern die Wiege unserer westlichen Zivilisation darstellt).
In der Tat eine paradoxe Situation: Jedes Volk schiebt offenbar seinen jeweils südlich bzw. südöstlichen Nachbarn die Rolle der "Barbaren" und "Bedroher der europäischen Kultur" zu, bis dann am Ende Griechenland als Ursprung jeglicher europäisch-westlicher Kultur den Widerspruch auflöst.

Ovo je balkan?
Gibt es ihn überhaupt?

Wir bleiben dran!

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