Dienstag, 20. April 2010

Wo bitte liegt - und was ist der "Balkan"?

Da ich hier ja nur blogge und das nunmal nicht hochwissenschaftlich ist, kann ich sicherlich beruhigt ein längeres Stück eines gerade gefundenen Artikels von Wolf Oschlies aus dem Eurasischen Magazin, Ausgabe 4/2006 zitieren, das einen weiteren Einblick in die Begriffsgeschichte und vor allem dessen Unklarheit bringen kann. Mir persönlich hat vor allem der erste Teil gefallen, während ich im weiteren Verlauf nicht mehr jeden Gedankengang teilen kann. Hier wie erwähnt ein Ausschnitt, den gesamten Artikel findet ihr hier: Klick mich.
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Die Szene ist unvergessen: Der slowenische Staatspräsident Milan Kucan tritt ans Rednerpult und sagt: „Slowenien liegt nicht auf dem Balkan…“ Auf den Gesichtern der vielen Zuhörer breitet sich ein Lächeln aus, aber kein wohlmeinendes – eher eines von der Art: „Lerne Geographie, du Narr“. Der ebenfalls anwesende makedonische Staatspräsident Kiro Gligorov nutzte seine Chance, als er an der Reihe war und begann so: „Makedonien liegt nicht nur auf dem Balkan – es ist das Herz des Balkans!“ Weiter kam er erst einmal nicht, denn stürmischer Szenenapplaus zwang ihn zu einer längeren Pause.

Das war im März 1993 vor dem hochkarätigen Forum „Europäischer Dialog“. Es fand in Bonn statt, das damals noch Bundeshauptstadt war. Moderator der Gespräche war Peter Glotz. Doch es gibt heute nicht weniger Verwirrung, wenn vom Balkan die Rede ist. Wo bitte liegt und was ist der Balkan? – Viele Zeitgenossen sind darüber nur wenig im Bilde.

"Nicht die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert"

Die Region Balkan könnte die wärmste, anregendste, bunteste und klangvollste Europas sein. In Wahrheit aber gilt sie als das Gegenteil dieser Eigenschaften, und das schon seit geraumer Zeit: „Der ganze Balkan“, soll Bismarck am 5. Dezember 1876 im Reichstag gedonnert haben, „ist mir nicht die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers wert“. Eugen Richter, Abgeordneter der Deutschen Fortschrittspartei, hatte den „Eisernen Kanzler“ zu diesem Ausfall gereizt, der seither immer wieder zitiert wird. Tatsächlich gebrauchte Bismarck den Ausdruck „Balkan“ nicht ausdrücklich, weil der so „jung“ war, dass er sich noch nicht allenthalben herumgesprochen hatte.

„Balkan“ bezeichnet in der türkischen Sprache einen „bewaldeten Höhenrücken“, also eine sehr passende Bezeichnung für jenes Gebirge, das die antiken Griechen „Haemus“ nannten und die Bulgaren immer noch „Stara Planina“ (Alter Berg) nennen, beispielsweise in der ersten Zeile ihrer Nationalhymne. Der Berliner Blindenlehrer und Geograph Johann August Zeune (1778-1853) begründete 1808 den Usus, die südosteuropäsche Halbinsel nach ihrem größten Gebirge zu benennen.

Was im Falle Italiens als „Apennin-Halbinsel“ bereits die Norm war, wiederholte sich nun im europäischen Südosten, gefördert vor allem durch die Bücher des deutschen Ethnographen und Illustrators Felix Kanitz (1829-1904). Vermutlich ohne Absicht des Autors etablierte sein monumentales Werk „Donau-Bulgarien und der Balkan“ die seither übliche Benennung der Region, wobei die Auswahl des türkischen Gebirgsnamens dem Umstand Rechnung trug, daß fast der ganze „Balkan“ seit Jahrhunderten unter osmanischer Herrschaft war. Bulgarien beispielsweise war seit 1393 unter diesem „Joch“, von dem es erst im Gefolge des Russisch-Türkischen Krieges 1877/78 freikam – den die Russen glänzend verloren hätten, wären ihnen nicht Kanitz’ Karten und bulgarische Freiwillige zu Hilfe gekommen. Der „Balkan“ war ein Begriff geworden!

So „griffig“ die Benennung ist, so vage ist sie auch: Kaum jemand hat es jemals gewagt, den Balkan exakt zu definieren oder gar in Quadratkilometern auszumessen. Für den Namensgeber Zeune umfasste der Balkan lediglich Albanien, Bulgarien, Makedonien und Griechenland, was nur scheinbar präzise ist: Die solchermaßen benannten Staaten entstanden erst Jahrzehnte später und bis dahin war es europäische Konvention, historische Landesnamen auch auf jene Teile des Osmanischen Imperiums anzuwenden, die von den Türken integral als Rumelien geführt wurden.

Wo fängt der Balkan an, auf gewissen Straßen der Wiener Innenstadt oder in Harburg?

Diese balkanische Desorientierung bestand zu allen Zeiten und war oftmals Anlass zu mehr oder minder humorigen Standortbestimmungen. Schon zu Zeiten des Fürsten Metternich (1773-1859) wurde der „Anfang“ des Balkans auf gewisse Straßen der Wiener Innenstadt verlegt. Vor dreißig Jahren lauschte alles den witzigen Liedern der „Hamburger Szene“, deren eines den Refrain hatte „In Harburg fängt der Balkan an“. Harburg ist der südelbische Vorort von Hamburg. Südlich Wiens, in Slowenien und Kroatien, ist ausgesprochen riskant, diese Länder zum „Balkan“ zu zählen. Und wer gar den herostratischen Mut aufbrächte, in Ungarn den Landesnamen und „Balkan“ in einem Satz zu vereinen, der hätte augenblicklich ganze Auditorien gegen sich aufgebracht. Offenkundig will nicht jeder zu der Region gehören, deren Grenzen ein geistvoller Soziologe aus Belgrad 1972 so bestimmte: „Der Balkan beginnt dort, wo die Toiletten der internationalen Züge eine Stunde nach Grenzübertritt zum Davonlaufen aussehen“.

Warum Balkan-Namensgeber Zeune gewisse Gebiete nicht zum Balkan gezählt hatte, war schon seinen Zeitgenossen unklar und kann bis heute nur vermutet werden – vielleicht weil Montenegro nie völlig von den Osmanen erobert worden war und weil in Serbien seit 1804 Aufstände tobten, die das Land mehr und mehr aus dem Imperium lösten. Die 400 oder (je nach Land) gar 500 Jahre osmanischer Fremdherrschaft waren nach den Worten des jugoslawischen Literatur-Nobelpreisträgers Ivo Andric (1892-1975) auch die „Periode einer wunderbaren Ruhe“, was ja stimmt, wenn man sich erinnert, wie viele Kriege, Revolutionen, Unglücke, Epidemien etc. in derselben Zeit im restlichen Europa abliefen. Nur die Aufstände, die nacheinander alle balkanischen Völker gegen die fremden Herren anzettelten, machten dieser Ruhe ein jähes Ende. Das war nicht so sehr die Schuld der „Balkanesen“ selber, sondern importierter Hader. [...]

2 Kommentare:

  1. der artikel kommt noch im seminar am ende des semesters. aber schön, dass du ihn gepostet hast..

    es wäre schön ihn einmal zu semesterbeginn und noch einmal zu semesterende zu lesen und dann schauen, ob sich etwas in unseren persönlichen vorstellungen in der zeit verändert hat. ;)

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  2. Der Balkan hat etwa 50 Millionen Hektar Fläche und wird, außer nach Norden, durch Meere begrenzt. (Schwarzes Meer, Marmarameer, Ägäisches Meer, Ionisches Meer und Adriatisches Meer)
    Nach Norden wird dafür die Save-Donau-Linie genommen. Dabei gibt es unterschiedliche Auffassungen. So werden gelegentlich eines der beiden Nebenflüsse der Save als Nordwestgrenze betrachtet. In diesen Fällen wird Zentralkroatien bzw. das Gebiet der ehemaligen kroatischen Militärgrenze zum Balkan gerechnet oder auch nicht. Eine andere gängige Definition von Wikipedia sieht die Bucht von Triest und das Ljubljana-Tal als Nordwestbegrenzung der Balkanhalbinsel, welche über die Save und Donau dann auch bis ans Schwarze Meer verläuft. Zum Balkan-Begriff zählt man manchmal auch die Walachei und Moldawien hinzu (wobei es zu Überlappungen zwischen dem geographischen und dem historisch-politischen Balkan-Begriff kommt). Selten wird auch die direkte Luftlinie zwischen Triest und Odessa als Abgrenzung verwendet. Im Endeffekt ist der Begriff nicht näher erläutern und liegt im ermessen des Betrachters.

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